Zeitschrift Musikforum: Porträt Mensch & Instrument
   
  Brückenbauer am Akkordeon
Der ungewöhnliche Weg des Teodoro Anzellotti zur zeitgenössischen Musik
   
 

Nein, auf den ersten Blick und das erste Ohr hin mag dieses Instrument gar nicht zur Avantgarde und zur neuen Musik passen. Allzu leicht verknüpft man das Akkordeon mit Heimatklängen, argentinischem Tango oder Pariser Musette. Wäre da nicht einer, der uns gründlich vom Gegenteil überzeugt: Teodoro Anzellotti

Er zählt zu den Erneuerern der Akkordeonmusik, erschloss das 'Schifferklavier' der zeitgenössischen Musik und hat damit das Klangbild der Avantgarde entscheidend geprägt: Teodoro Anzellotti, gebürtiger Italiener und jetzt in Freiburg lebend, setzte Impulse, die zur neu gewonnenen Bedeutung seines Instruments beigetragen haben und machte dabei selbst Karriere.

   
  Mit dem Künstler, der heute an der Hochschule in Bern und Freiburg unterrichtet und regelmäßig in ganz Europa Meisterkurse gibt sprach Andreas Bausdorf
   
 

Wie haben Sie zu ihrem Instrument, dem Akkordeon, gefunden?
Mein Vater hat für allerlei Gelegenheiten mit einem Geiger und Gitarristen Musik gemacht. Er konnte keine Noten lesen, war aber in der Lage, Musik sehr schnell übers Gehör zu speichern und nachzuspielen. Das Akkordeon war das zentrale Instrument meiner Kindheit, und so habe ich mich riesig gefreut, als ich zum ersten Mal das Instrument meines Vaters spielen durfte.

Wie kam es zu der Entscheidung, ein Hochschulstudium in Deutschland zu beginnen?
Mir war sehr schnell klar, dass ich meine Leidenschaft mit dem Akkordeon auch im Beruf weitergehen wollte. Nach einer Teilnahme beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ ermutigte der damalige Hochschullehrer Hugo Noth und ein Redakteur des SWR meine Eltern, indem sie ihnen rieten, ich solle eine professionelle Laufbahn mit dem Akkordeon anstreben. Mir kam das recht und danach war die Hochschule in Karlsruhe nicht mehr weit.

Welche beruflichen Perspektiven haben Sie tatsächlich mit dem Studium verbunden?
Über meine Zukunft hatte ich mir damals gar keine Gedanken gemacht. Zunächst war ich nur überglücklich Musik studieren zu dürfen.
Wichtig war mir allerdings, dass Akkordeonspiel in den Mittelpunkt meiner Arbeit zu stellen und von den besten Lehrern zu lernen. Außerdem wollte ich mir den jugendlichen Rausch, die Leidenschaft fürs Akkordeon, erhalten und das tun, was ich wirklich liebe. Ein Model eines konzertierenden Akkordeonisten gab es damals noch nicht – aber das hinderte mich nicht an eine interessante und spannende Zukunft mit dem Akkordeon zu glauben.

Der Unterricht bei Wolfgang Rihm und die Teilnahme an den Darmstädter Ferienkursen haben Sie stark beeinflusst. Wann und wie entstand der Wunsch, sich um ein eigenständiges Repertoire für das Akkordeon zu bemühen?
Dieser Wunsch entstand schon ziemlich früh in meiner Studienzeit. Man muss dazu wissen, dass man damals als Akkordeonstudent in Karlsruhe nicht sehr angesehen war.
Kaum jemand nahm mich wahr, geschweige den richtig ernst. Nur die Kompositionsstudenten waren da anders. Sie waren neugierig und natürlich interessierte auch ich mich für deren Welt. So entstanden recht früh Kontakte zur Neuen Musik und enge Freundschaften in dieser Gruppe.
Mir war auch bald klar, dass mein Instrument nur wachsen kann, wenn es eine eigene Identität mit interessanten und relevanten originalen Stücken bekommen wird. Die Auseinandersetzung mit dem Neuen, die auf der Höhe der Zeit stand, führte mich dann nach Darmstadt, Witten, Donaueschingen und Straßburg. Damals gab es für das Akkordeon fast keine Avantgarde-Literatur. Man musste gemeinsam eine neue und auch fremde Klangwelt erforschen, zu der es noch keine Brücken gab.

Was empfindet man, wenn einem dieses Vorhaben gelungen ist und man seinem Instrument einen neuen Raum im Musikleben verschafft hat?
Kunst ist primär etwas ganz Privates und zunächst eine Kommunikation mit sich selbst. Wenn mir Ideen gelingen und ich ausdrücken kann, was ich möchte, wenn ich also mit mir selbst einigermaßen zufrieden bin, kann sich das auch auf andere übertragen und es entstehen vielleicht sogar neue Räume. Ich staune selbst darüber und fühle mich etwas privilegiert, daran mitgearbeitet zu haben das Akkordeon so verwandelt zu haben. Ich beobachte auch, dass für viele junge Akkordeonstudenten inzwischen die Arbeit an Neuer Musik ganz selbstverständlich geworden ist.

Zahlreiche international bedeutende Komponisten wie z.B. Luciano Berio, Heinz Holliger, Michael Jarrell, Mauricio Kagel, Isabel Mundry, Gerard Pesson, Matthias Pintscher, Wolfgang Rihm, Salvatore Sciarrino, Dieter Schnebel, Marco Stroppa, Jörg Widmann oder Hans Zender haben für Sie Werke geschaffen. Wo liegt in der Zusammenarbeit mit den Komponisten für Sie die größte Herausforderung und was treibt Sie an, sich immer neuen Aufgaben zu stellen?
Es ist natürlich ein gewisser Stolz, der erste gewesen zu sein. Und es ist immer ein Neubeginn einer ästhetischen Erfahrung, deren Ausgang ein gewisses Risiko birgt. In der heutigen Zeit gibt es keine einheitliche Stilform. Komponisten müssen tief in sich hineinhorchen, um einen eigenen Ton zu finden. Es ist spannend, ihre geistigen und kulturellen Leistungen aufzunehmen. Manchmal steht etwas Klang-Sinnliches im Vordergrund, das andere Mal ist das Experiment oder das Intellektuelle das Entscheidende. Die Zusammenarbeit ist bereichernd, denn es entstehen inspirierende Begegnungen mit starken Persönlichkeiten. Durch diesen Umgang muss ich mich immer wieder hinterfragen und komme durch einen kritischen Blick auf meine eigene Arbeit zu neuen Ideen und Ansichten. Ich erlebe das gerade jetzt in Köln, wo ich „Storie di altre storie“ komponierte Transkriptionen von Mozart, Mauchaut und Scarlatti für Soloakkordeon und Orchester uraufführen werde. Der Komponist Sciarrino hat eine ganz eigene, aparte Vorstellung der Interpretation, was natürlich ein Teil der Komposition ausmacht, die für mich neu, manchmal fremd, aber dennoch überzeugend ist. Ich konnte mich auf seine Vorstellungen einlassen und mein Bild beiseite stellen. So zu arbeiten ist selbstverständlich anstrengend, aber vor allem enorm anregend.

Hätten Sie Ihre Ziele und Ideen auch in einem anderen Land realisieren können und warum haben Sie Deutschland als Ihren Lebensmittelpunkt gewählt?
In Deutschland bin ich aufgewachsen, habe hier die Schule besucht und studiert. In einem anderen Land leben zu wollen habe ich mich bisher nie gefragt. Zwar unterrichte ich in der Schweiz und bin dort beruflich ebenso aktiv wie hier, aber das kann ich aus Freiburg problemlos erreichen. Außerdem finde ich die deutsche Musikszene sehr spannend. Sie ist ernst, vielschichtig und hat eine enorme Tradition. Hinzu kommt, dass wunderbare Musiker aus der ganzen Welt nach Deutschland kommen und diese Tradition ergänzen und bereichern.


Sie unterrichten seit 1987 an der Hochschule der Künste Bern, jetzt auch an der Hochschule in Freiburg und bei den Ferienkursen in Darmstadt. Was möchten Sie an die junge nächste Generation von Musiker weitergeben?
Ich glaube, es ist für Studenten äußerst interessant, einem Musiker der regelmäßig auf der Bühne steht, zu erleben wie er arbeitet, analysiert und umsetzt. Gerade das junge Akkordeon hat in den vergangenen Jahrzehnten eine rasante Entwicklung erlebt und ist wie kein anderes Instrument so flexibel geworden, hat sich von überlieferten Mustern der Vergangenheit so radikal emanzipieren können. Literatur, Spielkultur, Hörbild, Präsenz, Pädagogik usw. haben sich enorm entwickelt. Durch die relativ kurze Entwicklungszeit der klassischen Musik auf dem Akkordeon sollten besonders die konzertierenden Akkordeonisten ihre Erfahrungen an die junge Generation weitergeben. Für mich ist das unterrichten aber auch ein Gewinn. Man muss für die Studenten seine Ideen feilen, präzisieren und artikulieren. Andere Wege mitgehen und mitlernen. Es gibt interessante Schüler die einem mit Unerwartetem konfrontieren und mit denen man sich auseinander setzt. So entstehen auch überraschende, neue und spannende Verläufe.

 

   
 
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