Teodoro Anzellotti
   
 

An einem Frühnachmittag beim Fußballspielen kam meine Schwester um mich sofort nach Hause zu holen. Ich hätte in kürze Akkordeonunterricht. Ohne Vorankündigung saß ich eine Stunde später bei einem italienischen Akkordeonlehrer im Unterricht.

Mein Vater hatte schon in seiner Heimat Akkordeon gespielt, bei allen Festen, den traurigen wie den fröhlichen, in seinem kleinen Dorf in Apulien . Und natürlich reiste das Akkordeon, beinahe wie ein richtiges und wichtiges Familienmitglied, Mitte der sechziger Jahre mit nach Deutschland. Aus Platzmangel war der Akkordeonkasten in meinem Kinderzimmer deponiert, dem niemand auch nur nahe kommen durfte. Doch nun kam die Wende: ich durfte. Das Akkordeon mit den Tasten, Knöpfen und den Balg in der Mitte und die vielstimmige Musik darauf wirkte immer wie ein Wunder auf mich.

Es viel mir leicht, die Fortschritte gingen schnell und ich war begeistert. Vor einem Jugendwettbewerb beängstigten sich meine Eltern vom vielen Üben und glaubten, ich könnte an diesem Übermaß psychischen Schaden nehmen und brachten das Akkordeon vorübergehend außer Haus. Vom Unterricht wurde ich vorsichtshalber auch abgemeldet. Heimlich übte ich bei meinem, nun ehemaligen, Lehrer weiter. Bald danach machte ich die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule in Karlsruhe und wurde als Jungstudent aufgenommen.

Mein neuer Lehrer empfahl mir in der ersten Stunde, mein Tasten-Akkordeon mit einem Knopf-Akkordeon, dass viel mehr Spielmöglichkeiten besäße, auszutauschen. Da ich wegen der kompletten Spielumstellung sowieso wie von vorne beginnen musste, willigte ich ein. Von heute aus gesehen, war es der beste Ratschlag den ich von ihm bekam. Mein alter Lehrer half mir wieder und lieh mir ein Knopf-Akkordeon.

In der Musikhochschule bekam ich aber zu spüren, dass ich mit meinem Instrument zu einer Art persona infames zählte. Hier erst realisierte ich, wie sehr das Akkordeon in der seriösen Musikwelt für eine billige Reputation hatte, geringer als ein Saxofon, Gitarre ja sogar noch weniger als die Blockflöte.

Irritiert aber zugleich inspiriert träumte ich insgeheim, dass Akkordeon aus diesem Aschenputteldasein zu entreißen und der Welt die wahre, innere Schönheit des Akkordeon mit wunderbarer Musik zu überzeugen.

Ich übte unbeirrt. Ging auf Wettbewerbe um meine Leistungen zu vergleichen, zu testen und hatte Erfolg. Die Akkordeonszene, die ich hier kennen lernte, fand ich aber uninteressant.

Meine Verbündeten waren die Kompositionsstudenten in der Hochschule. Mit ihnen entwickelte ich mich und mein Selbstbewusstsein nahm allmählich zu.

Es war Zeit ein überzeugendes eigenes Repertoire zu bilden. Für die Idee, fortschrittliche und relevante Neue Musik auf dem Akkordeon zu spielen, gab es noch kein Forum, keine Vorläufer, keine Vorbilder und noch schlichtweg kein Interesse. Ich versuchte mir ein Zukunftsbild zu machen, eine Rolle als Akkordeonist in der zeitgenössischen Musik vorzustellen und zu klären. Ich fragte mich nach dem, was es zu leisten und wie es zu leisten ist.

Ich ging nach Donaueschingen, Straßburg, Witten und vor allem nach Darmstadt. Dort konnte ich auch versuchen, damals meist belächelt und vergeblich, für mich Stücke anzuregen.

Das Akkordeon hat heute den Spagat in die Neue Musik als Solo, Ensemble und Orchester-Instrument geschafft und seinen festen Platz bekommen. Kein anderes Instrument ist in den letzten Jahren so flexibel geworden, hat sich von überlieferten Mustern der Vergangenheit so radikal emanzipieren können, vom Schmuddelkasten zum Schatzkasten.

Unlängst spielte ich in der Universität von Bologna, in Umberto Ecos Instituto superiore nach einem Referat von Berio, seine Akkordeon Sequenza. Im kleinem Kreis wurde danach mit renommierten italienischen Intellektuellen, Musikwissenschaftlern und Freunden von Berio und Eco gefeiert. Man sprach mit Herz über die Geschichte und deren populäre Musik des Akkordeon und bat mich, die bekannte Mazurka von Miglavacca zu spielen , ein Stück das ich früher immer wieder auch meinem Vater vorspielen musste.

Wie schrieb Berio zu seiner Sequenza:" Eine Erinnerung an die Zukunft" (wie Italo Calvino sagen würde) dieses Instrument, das beständig wächst.

   
 
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